Victoria Vicky III, BJ 1955

Im Frühjahr 2013 nach der starken Dezimierung meiner Gitarrensammlung musste als Ausgleich ein neues Moped her. Und ausnahmweise hörte ich auf meine Frau, die schon immer gesagt hatte, ich solle mir doch kein restauriertes Teil kaufen (kurze Freude), sondern eins zum Schrauben (lange Freude). Und so kaufte ich mir die Vicky, Baujahr 1955 für ganze 185€. Der geringe Einstiegspreis ist nur einer der Vorteile dieses Mopeds. Weitere sind die gute Verfügbarkeit von neuen  Verschleißteilen, und (da offenbar ständig Vickys geschlachtet werden) ein großes Angebot an günstigen Gebrauchtteilen. Ebay heißt auch hier das Zauberwort, aber es gibt auch mehrere Händler, die sich auf Victoriateile spezialisiert haben. Des weiteren wurden die Victoria Mopeds sehr gut lackiert, so dass in vielen Fällen (so wie bei meiner Vicky) der Originallack weitgehend erhalten und eine teure Neulackierung nicht unbedingt notwendig ist. Fehlen die Papiere, ist das auch nicht schlimm: Für 50€ (+10€ für den Unbedenklichkeitsnachweis) bekommt man eine Zweitschrift der ABE und erspart sich eine Vollabnahme beim TÜV.
Zunächst erschien es ganz einfach, die Vicky wieder auf die Straße zu bringen. Die fehlenden Teile (Lichtmaschinendeckel, Tragegriff) wurden in Ebay "geschossen", die Verschleißteile (Bowdenzüge, Lämpchen, Satteldecke) und eine CD mit Betriebsanleitung und Ersatzteilliste beim Händler bestellt. Schwieriger gestaltete sich der nächste Schritt: Der Tank musste unbedingt entrostet werden. Nun ist der bei der Vicky aber ein Rahmentank und kann nicht so einfach abgeschraubt werden. Auf das Zerlegen des ganzen Mopeds hatte ich gar keine Lust, so dass ich mit chemischen (Hauhalts-) Mitteln an die Sache heranging: Zuerst Domestos zum Reinigen, dann Zitronensäure zum Entrosten und zum Schluss Brennspiritus zum Ausspülen.  Das Ergebnis ist so LaLa, in die Benzinleitung muss auf jeden Fall noch ein feiner Filter. Nächster Punkt  war der Benzinhahn.  Zwar gibt es einen passenden beim Händler aber für über 40€. Es passt aber auch der von der Simson Schwalbe für 7€, dafür habe ich allerdings für den Einbau 5 Stunden gebraucht. 

Hier muss man mal innehalten und das Wesen des Mopedschraubens betrachten. Es gilt der alte Ho-Chi-Minh Spruch (vielleicht ist er auch von Che Guevara oder jemand ganz anderen): OHNE KAMPF KEIN FRIEDE. Will sagen, erst mindestens fünfmaliges Scheitern führt zum "heute ein König" - Gefühl.  Und so war der heurige Sommerurlaub mit drei Wochen Schrauben einer der schönsten überhaupt. Obwohl ich insgesamt auf dem Weg zur fahrenden Vicky nur kleine Schritte vorwärtsgekommen bin. 

Ende September war dann die Vicky fertig - zumindest dachte ich das. Kleine Fahrten im Hof und auf der Straße vorm Haus ließen Hoffnung aufkommen. Doch vor der ersten großen Ausfahrt stand noch die Zulassung an. Also zur Zulassungsstelle, die Unbedenklichkeitsbescheinigung holen. Dann Einschicken, und eine Woche später war die ABE da. Schnell noch das Moped versichern, und dann........ kam einer der herbsten Rückschläge meines Lebens (nun ja, so schlimm war es auch nicht): Die Vicky lief nur in schneller Gehgeschwindigkeit (wie sich herausstellte, war der Schwimmer defekt), alle 4 Sekunden drehte die Kupplung durch, und zu guter Letzt verlor ich eine Tretkurbel. Also das Programm für nächstes Jahr: 1. Kupplungslamellen tauschen, 2. Tretkurbel gut festklopfen, 3. Vorderbremse neue Bremsbeläge einbauen. Dann müsste meine Vicky tatsächlich laufen. Des weiteren stehen noch einige nicht "lebenswichtige" Sachen an: Tachoantrieb einbauen, Vergaser abdichten, Auspuff ausbrennen, Vorderrad entrosten und lackieren, neue Reifen. Ich denke, dass ich für das alles mindestens noch einen Sommerurlaub benötige. Herrlich!

Bilder von meiner Vicky

Nachtrag 30. Oktober 2014

Heute habe ich trotz kühler Witterung die 1. erfolgreiche Jungfernfahrt (kann man das bei einem fast 60 jährigen Moped sagen?) absolviert. 10 km rund ums Fußbergmoos, mit einer "Hochgeschwindigkeitsstrecke" und einigen deftigen Steigungen. Und ohne Handy, also voller Vertrauen in die wiedererweckte Uralttechnik.

Hinter mir liegt wieder ein Sommer mit Schrauben, Erfolgen und herben Rückschlägen. Entscheidende Dinge wurden repariert: Die Tretkurbel wurde richtig befestigt, die Kupplung erneuert (wie sich später herausstellte, lag das Durchdrehen gar nicht an der Kupplung, sondern an einer falschen Schltungseinstellung) ein neuer Tachoantrieb eingebaut und der Vergaser neu bedüst. Danach kam eine Probefahrt, die in 20 minütigem Zurückstrampeln endete. Nach 2 km Fahrt ging der Motor aus und war nicht mehr zum Laufen zu bewegen. Hier sei einem Teilehändler auf den Fürstenfeldbrucker Oldtimertagen gedankt, der mir die Lösung des Problems aufzeigte. Die Zündspule war defekt und musste neu gewickelt werden. In diesem Zusammenhang erneuerte ich gleich alle Kabel. Ja, und jetzt läuft sie, manchmal noch etwas widerwillig, aber sie läuft. Und ich habe es geschafft: Ich habe ein altes Moped zum Laufen gebracht, habe mich von allen Rückschlägen nicht entmutigen lassen und es einfach durchgezogen. Das nächste Projekt steht schon im Schuppen... Aber das ist eine andere Geschichte.

PS: Natürlich ist meine Vicky immer noch nicht ganz fertig. Nächstes Jahr gehts an die Optik. Und sie braucht neue Reifen, mal sehen, ob ich ihr die teuren Conti-Weißwand gönne.

Vicky mit stolzem Besitzer nach erfolgreicher Jungfernfahrt

Nachrag Mai 2015:

Auch dieses Jahr hielt mich die Vicky auf Trab. Die anvisierten Conti Weißwandreifen wurden montiert, führten aber zu einer eklatanten Verschlechterung der Fahreigenschaften. Obwohl vom Profi aufgezogen, war das Gehoppel nicht auszuhalten. Also die schönen Reifen wieder runter, und die alten (womöglich die ersten?) wieder drauf.

Zunächst unerkläriliche Ausfälle des Motors hatten ihre Ursache in einem verstopften Vergaser, der zur Überhitzung des Motors führte. Das Problem wurde von zwei Seiten angegangen. Erstens wurde (nach der gründlichen Reinigung des Vergasers) ein neuer Benzinfilter eingebaut. Und dann habe ich die Fahrweise umgestellt. Wie mein Teilehändler sagt: Eine alte Dame darf man nicht hetzen. Also ganz vorsichtiges Warmfahren, danach kein Vollgas mehr, bei den Steigungen rechtzeitig schalten und mittreten. Und jetzt geht sie wieder, sie wird so nicht zu heiß und macht teuflischen Spass. Gut die Beleuchtung geht zur Zeit nicht, aber da ich momentan keine Lust habe, die Lichtmaschine zu zerlegen und den Fehler zu suchen, habe ich einfach eine Fahrrad Batterielampe installiert. Heller als die originale Funzel ist die auf jeden Fall.