Bauer Super Sport 1950?

Sammeln ist eine Sucht, ohne Frage. Eines der krassesten Beispiele sind wohl die Gebrüder Schlumpf, die zwischen 1945 und 1977 mit ihrer Sammlung von 500 exklusiven Oldtimern (Bugatti!) sich und ihre Firma total ruinierten. So schlimm ist es bei mir bei weitem nicht, andererseits werden meine Hinterlassenschaften wohl auch nicht den Grundstock zu einem der bekanntesten Oldtimermuseen der Welt bilden. Das Sammelvirus schlug heuer im November mal wieder zu. Wohl begünstigt durch das viel gefährlichere Corona Virus, das auch ohne Infektion zu lang anhaltendem Frust führt, "musste" ich meine Sammlungen wieder mal ergänzen. Mopeds/Roller kamen wegen Platznot nicht in Frage, und die einzige Gitarre, die mich reizen würde, eine Custom Shop Telecaster, ist mir einfach zu teuer. Aber warum kein Fahrrad? Historische Fahrräder sind vergleichsweise günstig, brauchen nicht viel Platz und lassen sich relativ leicht warten und instand setzen. Und bei größeren Problemen habe ich ja jetzt einen absoluten Experten an der Hand (Siehe die Seite über das Victoria Fahrrad). Meine sonst so liebe und geduldige Ehefrau hatte schon bei der Andeutung eines bevorstehenden Kaufs nur mit den Augen gerollt, also beschloss ich sie mit dem Fortschritt meiner Bemühungen nicht mehr zu belasten. Wo sucht man so ein Rad? Mein erster Weg führt da immer zum PC und da zu eBay Kleinanzeigen. Einstellung "Fahrräder und Zubehör", dann "Vintage" und Umkreis "30km um den Heimatort" bringt immer interessante Ergebnisse. So entdeckte ich unter dem unscheinbaren Titel "Rennrad Vintage" ein Bauer Super Sport Rennrad in Tourenausführung, also mit Schutzblechen und Gepäckträger. Da auf einem Foto die Rahmennummer sichtbar war, ließ sich auch das Baujahr auf die Zeit um 1950 eingrenzen. Und für dieses Alter war der Erhaltungszustand erstaunlich gut. Was mich aber genauso faszinierte, waren die tollen Anbauteile z.T aus verschiedenen Ländern, der toll geschwungene Lenker mit einem uralten vergilbten Band, der Ledersattel der Marke „Ideale“ aus Frankreich, die „Bluemels“ Schutzbleche aus England und der schicke „Biemme“ Gepäckträger aus Italien. Dann machte ich mich über die Marke schlau: Bauer war ein renommierter Hersteller von Fahrrädern aus der Nähe von Hanau, der von 1911 bis 1967 existierte. Die Firma engagierte sich stark im Rennsport und so sind heute besonders die qualitativ hochwertigen und optisch äußerst geschmackvollen Rennräder Kult. Mein Rad ist kein echtes Rennrad, eher ein sogenannter Halbrenner. Auch ohne die speziellen Ausstattung muss das Rad richtig teuer gewesen sein, ein echter Luxus, und das in einer Zeit, wo die arbeitende Bevölkerung zu einem großen Teil mit abgewirtschafteten Vorkriegsrädern zur Arbeit fuhr.

Nun ja, die Zeitspanne zwischen der Entdeckung der Anzeige und dem ersten Kontakt mit dem übrigens sehr netten Verkäufer war nicht lang, ein Besichtigungstermin war schnell vereinbart. Seine Wohnung lag nur 5min entfernt vom Rosenheimer Platz in München, praktischerweise konnte ich mit der S Bahn anreisen. Der Verkäufer holte mich stilecht mit einem alten Wanderer Fahrrad vom S Bahnhof ab. Er hatte es eigentlich für seine Frau restauriert, die aber verschmähte es wegen mangelnder Bremsleistung (seufz). Das Bauer Rad stand im Keller, bemerkenswerterweise neben einem Victoria in petrolgrün, genau dem Damen-Pendant zu meinem (allerdings mit 3 Gang Schaltung). Über den Kaufpreis wurden wir uns schnell einig und nach 10 Minuten war das Bauer Super Sport meins.

 

Rahmen, Komponenten und Anbauteile:

Dies sind die Ergebnisse meiner bescheidenen Recherchen. Sollte es jemand besser wissen, bitte melden!

Rahmen: Bauer Super Sport mit der Nummer 1524089, Baujahr ca. 1950

Sattel: Ideale 92 diagonale "rodée main Rebour" in der Langversion, der 1977 auf dem "paris salon de bicyclette" vorgestellt wurde.

Lenker: Ohne sichtbare Kennung, könnte von der Form her original sein

Vorbau: Pivo, könnte original sein, Bauer verbaute solche

Schaltung: Huret Allvit 1900, 1. Generation, wurde ab 1958 bis Anfang der 1970er Jahre hergestellt. Das Rad wurde also schon einmal umgerüstet.

Umwerfer: Huret, wahrscheinlich gleichzeitig mit der Schaltung verbaut

Kurbel: Stronglight Model 93, wurde von 1968 bis 1978 gebaut. Laut VeloBase "neben der Campagnolo Record die wahrscheinlich meist verbaute Highend Kurbel der 70er Jahre". 170mm Länge der Arme, 53/42 Zähne.

Pedale: Lyotard mit Christophe Haken

Lichtanlage: Dynamo Elite, die Lampen ohne Markenkennung. Lichtanlagen wurden zu dieser Zeit immer nachträglich montiert.

Schutzbleche: Bluemels Club Special, made in England. Gabs auch schon in den 1950er Jahren. Bei Bauer konnte man Kunststoff Schutzbleche ordern, ob die meinen original sind, weiß ich nicht.

Gepäckträger: Biemme, eigentlich nur auf italienischen Fahrrädern verbaut, nachträglich angebracht (selfmade Aluwinkel zur Befestigung)

Bremsen: Weinmann Type 730

Bremshebel: Weinmann Patent

Felgen: Weinmann Alu

Naben: Sprinter (Hersteller Bernardon in Saint Etienne, Frankreich)

Reifen: Bauer zog auf seine Räder Contis auf. Auf meinem sind jetzt passend Continental Grand Prix Classic in 25mm Breite montiert. Vielleicht etwas schmal, sehen aber sehr sportlich und elegant aus.



Endlich Zuhause, eine Klingel wurde schon angeschraubt, als nächstes sind die Reifen dran


Noch einige Details des Fahrrads


Jetzt mit neuen Reifen:


Noch ein Blick auf die "neue" Klingel aus dem Fundus